Pflichtverteidigung

Selbstverständlich übernehme ich auch Pflichtverteidigungen. Um gleich diesem negativ belasteten Begriff entgegen zu treten: ein Pflichtverteidiger ist kein Verteidiger „zweiter Klasse“. Ein Pflichtverteidiger wird beigeordnet, wenn dem Beschuldigten eine besonders schwerwiegende Tat vorgeworfen wird oder er sich sonst nicht sachgerecht verteidigen kann. Wirtschaftliche Aspekte spielen bei der Pflichtverteidigung keine Rolle. Der Beschuldigte bekommt auch nur einen Rechtsanwalt „zur Seite gestellt“, wenn er nicht selbst einen auswählt. Der von dem Beschuldigten vorgeschlagene Verteidiger ist in der Regel zwingend als Pflichtverteidiger beizuordnen.

Haben Sie also Post vom Gericht erhalten, in welcher das Gericht mitteilt, dass ein Fall der sog. „notwendigen Verteidigung“ vorliegt und Sie innerhalb einer bestimmten Frist einen Verteidiger benennen sollen, Ihnen anderenfalls das Gericht einen Pflichtverteidiger bestellt, sollten Sie sich sofort selbst um einen Rechtsanwalt Ihrer Wahl bemühen. Nur so können Sie gewährleisten, dass Ihr Pflichtverteidiger auch wirklich nur Ihre Interessen wahrnimmt und nicht das Wohlwollen des Gerichts im Auge hat.

Die „notwendige Verteidigung“

Grundsätzlich steht es jeder Person frei, im Strafverfahren die Hilfe eines Rechtsanwaltes als Verteidiger in Anspruch zu nehmen oder auf die Hilfe eines Rechtsanwaltes zu verzichten. Wenn aber der Sachverhalt z. B. besonders schwierig ist, eine zu erwartende Strafe besonders hoch ausfallen könnte oder der Beschuldigte nicht in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, ist die Mitwirkung eines Verteidigers zum Wohle des Beschuldigten zwingend erforderlich. Dann spricht man von einer notwendigen Verteidigung. Sollte der Beschuldigte noch keinen Verteidiger haben, wird das Gericht ihm einen Verteidiger als Pflichtverteidiger bestellen. Die Bestellung des Pflichtverteidigers erfolgt auch gegen den Willen eines Beschuldigten.

Nach § 140 Abs. 1 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers in bestimmten fesgelegten Fällen erforderlich, und zwar, wenn

  • zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet
  • dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird
  • das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann
  • der Beschuldigte einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist
  • der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet
  • zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus in Frage kommt
  • zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird
  • der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist
  • dem Verletzten als Nebenkläger oder Adhäsionskläger ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist
  • bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint
  • ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt

Außerdem ist dem Beschuldigten ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

am häufigsten: die „sonstigen Fälle“

Nach § 140 Abs. 2 StPO wird ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Bei der Generalklausel ist zu prüfen, ob ein Beschuldigter in der Lage ist, sich gegen die erhobenen Vorwürfe effektiv selbst zu verteidigen. Die Gerichte gehen in der Regel davon aus, dass ab einer Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe die Mitwirkung eines Verteidigers und daher die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich ist. Die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ist ein sehr breit gefächerter Begriff mit nahezu uferloser Rechtsprechung. Ich berate Sie gerne dahin gehend, ob in Ihrem Fall eine Pflichtverteidigung in Betracht kommt.

Verhandlung vor dem Oberlandesgericht

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist stets erforderlich, wenn in erster Instanz vor dem Oberlandesgericht das Verfahren geführt wird. Das Oberlandesgericht ist nur sehr selten als erstinstanzliches Gericht zuständig. In der Regel handelt es sich um schwerwiegende Delikte wie Hochverrat oder Straftaten nach dem Völkerstrafrecht. Häufig geht die Staatsanwaltschaft auch bei einer Anklage vor dem Oberlandesgericht von einem mutmaßlich terroristischen Hintergrund aus.

Verhandlung vor dem Landgericht

Weitaus häufiger sind die Fälle, in denen in erster Instanz vor dem Landgericht verhandelt wird und daher ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Das Landgericht ist ab einer Straferwartung von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe zuständig. Wenn also die Staatsanwaltschaft nach Abschluss der Ermittlungen davon ausgeht, dass eine Freiheitsstrafe von mehr als vier Jahren in Betracht kommt, ist Anklage vor dem Landgericht erheben.

Neben der Straferwartung ist das Landgericht immer zuständig für Verbrechen, bei denen eine Person ums Leben gekommen ist. Hierzu zählen insbesondere Mord und Totschlag, aber auch einige Verbrechen, bei denen die Todesfolge nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde, wie

Außerdem fallen hierunter die besonders gefährlichen Verbrechen

Verhandlung vor dem Schöffengericht

Noch eine Stufe tiefer liegen die Fälle, in denen in erster Instanz vor dem Schöffengericht verhandelt wird. Auch hier ist jedoch ein Pflichtverteidiger zwingend erforderlich, da die Strafandrohungen weiterhin sehr hoch sind. Ein Schöffengericht ist in der Regel mit einem Berufsrichter und zwei Schöffen besetzt. Schöffen sind keine Berufsrichter, sondern lediglich ehrenamtliche Laienrichter. Das Schöffengericht entscheidet in allen Fällen der Zuständigkeit des Amtsgerichts, soweit nicht der Strafrichter entscheidet. Das Schöffengericht ist für die Fälle der mittleren Kriminalität und immer dann zuständig, wenn die Staatsanwaltschaft von einer Straferwartung zwischen 2 und 4 Jahren Freiheitsstrafe ausgeht oder wenn ein Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr angeklagt wird.

Verteidigung bei Verbrechen

Ein Pflichtverteidiger ist auch im Falle eines Verbrechensvorwurfs zu bestellen. Ein Verbrechen ist dadurch gekennzeichnet, dass das Gesetz eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorsieht. Eine Geldstrafe oder eine kurze Freiheitsstrafe ist bei Verbrechen in der Regel nicht möglich.

Verteidigung bei Berufsverbot

Unter bestimmten Voraussetzungen kann das Strafgericht für eine bestimmte Zeit ein Berufsverbot anordnen. Da es sich bei einem Berufsverbot um eine in der Regel existenzvernichtende Sanktion handelt, ist die Mitwirkung eines Verteidigers im Rahmen der notwendigen Verteidigung erforderlich. Ein Berufsverbot kann angeordnet werden, wenn jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er unter Missbrauch seines Berufes oder Gewerbes begangen hat, verurteilt wird.

Vorführung zur Entscheidung über Haft

Die Untersuchungshaft stellt ebenfalls einen sehr starken Eingriff dar, da Menschen, die kraft Gesetzes als unschuldig gelten, in ihrer Freiheit beschränkt werden. Deshalb muss bei der Vollstreckung von Untersuchungshaft ein Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn der Beschuldigte noch keinen Wahlverteidiger hat. Gerade bei einer Verhaftung oder Festnahme gilt es, dass Freunde oder Verwandte keine Zeit verlieren sollten. Bei einer Verhaftung oder Festnahme wird der Beschuldigte in der Regel spätestens am nächsten Tag einem Haftrichter vorgeführt. Bereits in diesem Termin kann ein in Haftfragen erfahrender Rechtsanwalt den Erlass oder die Vollstreckung eines Haftbefehls bei geeigneter Sachlage verhindern. Sollte der Beschuldigte keinen „eigenen“ Pflichtverteidiger benennen, wird der Haftrichter dem Beschuldigten einen in aller Regel ihm genehmen Rechtsanwalt beiordnen. Gerade unerfahrene und erstmals inhaftierte Beschuldigte nehmen gerne zunächst den Vorschlag des Gerichts an, einen Verteidiger vom Gericht ausgewählt zu bekommen. Man stellt dann regelmäßig fest, dass der vom Gericht ausgewählte Pflichtverteidiger nicht die Interessen seines Mandanten ernsthaft vertreten hat, sondern eher zu einem „Verurteilungsbegleiter“ mutierte, der eher auf weitere Aufträge durch den Richter schielt als auf das Wohle seines Mandanten.

Aufenthalt in Haft

Befindet sich der Beschuldigte auf Grund einer richterlichen Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in „einer Anstalt“, also in Haft, z.B. bei Strafhaft, Auslieferungshaft oder Abschiebehaft, liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor und dem Beschuldigten wird ein Pflichtverteidiger bestellt.

Verteidigung von Jugendlichen

Neben den auch für Erwachsene bestehenden Möglichkeiten der Pflichtverteidigung sind für Jugendliche noch weitere Anwendungsfälle geregelt worden. So ist nach § 68 JGG auch ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn

  • den Erziehungsberechtigten und den gesetzlichen Vertretern ihre Rechte nach dem JGG entzogen sind,
  • die Erziehungsberechtigten und die gesetzlichen Vertreter von der Verhandlung ausgeschlossen worden sind und die Beeinträchtigung in der Wahrnehmung ihrer Rechte durch eine nachträgliche Unterrichtung oder die Anwesenheit einer anderen geeigneten volljährigen Person nicht hinreichend ausgeglichen werden kann,
  • zur Vorbereitung eines Gutachtens über den Entwicklungsstand des Beschuldigten seine Unterbringung in einer Anstalt in Frage kommt,
  • die Verhängung einer Jugendstrafe, die Aussetzung der Verhängung einer Jugendstrafe oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt zu erwarten ist.
Verteidigung gegen Strafbefehl

Bei Erlass eines Strafbefehls ist dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn im Strafbefehl eine Freiheitsstrafe verhängt wird und der Beschuldigte in diesem Verfahren noch keinen Rechtsanwalt beauftragt hat.

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